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Pensées et images, critiques et poésies, impressions et nostalgie, le tour du monde intérieur à la recherche des souvenirs perdus et retrouvés. Une porte ouverte au monde surréel, à l'alliance des sensations et des émotions, des correspondances de la vie avec les impressions du coeur.

Ausflüge in die Literatur 1: Nicht zu lieben oder nicht zu leben

 

 

Vera Botterbusch

Pierre Louÿs: Dieses obskure Objekt der Begierde

 

Abhängigkeiten in Liebesdingen sind so alt wie das Menschenge-schlecht.

Gibt es etwas Rätselhafteres als die Strömungen zwischen Mann und Frau, die der fleischlichen Lust jene emotionale Bindung zuführen, die über den Geschlechtsakt hinaus ein inbrünstiges Sehnen durch die Adern treibt. Bis das „obskure Objekt der Begierde“ zur Obsession wird: uns der Wollust höchste Wonnen verspricht und uns in den Orkus von Verletzlichkeit, Entbehrung und Eifersucht stürzt.

Für den französischen Schriftsteller Pierre Louÿs - als extravaganter Lebemann und sinnenfroher Ästhet ein typischer Zeitgenosse der Belle Epoque - ist die Liebe das große literarische Thema, wird der Liebeswahn zum magischen inneren Kreis, den es in all seinen Radien und Segmenten abzustecken und auszuloten, ja auszukosten gilt.

Schon sein Roman „Aphrodite“, ein Jugendwerk des 1870 geborenen Dichters, der 1896 unter dem Titel „L‘esclavage“ („Die Hörigkeit“), im Feuilleton des Mercure de France erschienen war, läßt in allen Tonarten die Melodien einer amour fou erklingen: nach dem Motto: „Sklaverei, Sklaverei - das ist der wahre Name der Leidenschaft“.

 „Die warmen und oft auch die tropischen Länder sind die Inspiration für die Literatur, die ich bevorzuge“, stellte Pierre Louÿs fest, der Liebhaber der griechischen Antike und passionierte Reisende, den es wie seinen Freund André Gide nach Nordafrika zog. Bei 35 Grad im Schatten kocht das Blut und die Nerven sind gespannt, die unersättlichen Triebe gedeihen bei diesem die Sinne anheizenden Treibhausklima zu hypertrophen Gewächsen und fleischfressenden Pflanzen. Was ist es anderes, als was die junge Schönheit Chrysis, die der Göttin „Aphrodite“ geweihte Kurtisane, ausbrütet, als jene krankmachende Gier nach dem grenzenlosen Triumph von Schönheit und Liebe. Ihr Opfer, der von allen Frauen begehrte Demetrius, muß, um ihre Liebe zu gewinnen, stehlen und morden und wird sich in der zunächst ergebenen Erfüllung blindwütiger Forderungen letztlich von dieser egoistisch besetzten Liebe distanzieren.

Wer ist hier Opfer und wer ist Täter? In dem Bedürfnis nach dem absoluten Sieg wird Chrysis zur absoluten Verliererin. Sie muß ihre Allmachtsgelüste mit dem Leben bezahlen. Ist die Liebe ein Glücksspiel, wo man mit dem höchsten Einsatz pokert und alles verlieren kann? Wie der Kreuzweg einer Passion, ein lyrisches tableau vivant, sind die einzelnen Kapitel des Romans aufgebaut und führen zu den großen Fragen von Unsterblichkeit, Barmherzigkeit und Pietät.

„Nicht zu lieben oder nicht zu leben - das ist die Wahl, vor die Gott mich gestellt hat.“ Diese Alternative offenbart sich der an ihrem unerfüllbaren Anspruch uneingeschränkter Liebe sterbenden Chrysis. Wenn sie aber den Schierlingsbecher trinken muß, so stirbt sie doch auch in dem Triumph, in ihrer Maßlosigkeit die Grenze des Menschlichen durchbrochen zu haben, ja gottähnlich zu sein in jenem Augenblick, als sie wie die Wiedergeburt der Göttin Aphrodite in der Menge erscheint.

Es ist das Verdienst des Manesse Verlags und des Übersetzers Vincenzo Orlando, dessen Nachwort sachkundig und lebendig die Lebens- und Vorstellungswelt des Dichters erschließt, „Aphrodite“ als literarische Pretiose neu präsentiert zu haben.

Man ahnt, welch eigene Liebesverstrickungen Pierre Louÿs bei der Darstellung narzistischer Besessen- und Vermessenheit inspirierten - ihn, der als Einundzwanzigjähriger seinem Tagebuch anvertraute „Ich habe so wenig gelebt! “ und über den Oscar Wilde sagte: „Er ist zu schön, um ein Mensch zu sein“. 

Seine Liebe zu Marie de Heredia, einer der Töchter des von ihm bewunderten Dichters José Maria Heredia, war ein Desaster. War es sie oder waren es die schönen Algerierinnen Méryem und Zohra, die den Wahnsinnigen der Liebe zu immer neuen literarischen Taten anregten?

Die Liebe: ein stetes Spiel zwischen Hingabe und Begierde, Machtstreben und Unterwerfung. Wir lieben, also wollen wir herrschen. Wir lieben, also wollen wir beherrscht werden. Unser Drang ist ein teuflisches Elixier, das wir einzuflößen wissen und das uns und unser Opfer rasend macht und zu tödlichen Exzessen treibt; wie bei Conchita und Mateo, dem untrennbar miteinander verkeilten Liebespaar aus „La femme et le Pantin“ („Die Frau und der Hampelmann“).

Conchita, die Gift spritzende Liebesfee, eine unberechenbare femme fatale zwischen Carmen und Lolita, weiß mit ihren Reizen geradezu buchhalterisch zu operieren, weiß mit den Verlockungen ihres Leibes ihr Liebesopfer zu ködern, um es dann, selbst mehr Jägerin als Beute in subtiler Umgarnung mit dem Netz der Unfreiheit zu umspannen. Bis sich Mateo am Schluß in die Erfüllung seines Schicksals, das heißt in die lebenslange Hörigkeit fügt.

Wie das unaufhaltsame Crescendo des Ravelschen Boleros  ziehen Täter und Opfer sich gegenseitig in ihren Bannkreis, aus dem sie nicht mehr entkommen können. Macht diese schicksalhaft-tragische Unentrinnbarkeit den Sog aus, weshalb dieser 1898 erschienene Roman immer wieder verfilmt wurde: zunächst 1935 von Josef von Sternberg mit Marlene Dietrich - zuletzt, 1977, von Louis Buñuel unter dem Titel „Dieses obskure Objekt der Begierde“, der dann auch zum Romantitel der deutschen Übersetzung geworden ist.

Pierre Louÿs starb 1925, im Alter von 55 Jahren, als ein verarmter, kokainsüchtiger Melancholiker: ein Sänger und Anatom der Liebe, der die Vertreibung aus dem Garten Eden in die bekannte Beziehungshölle nicht schönte, sondern mit scharfem Skalpell bis auf den letzten Nerv und Herzmuskel sezierte. Als er starb, hatte er seit über 20 Jahren nichts mehr veröffentlicht, als hätte ihn die Flamme der Leidenschaft verzehrt.

 

Pierre Louÿs, Dieses obskure Objekt der Begierde, Aphrodite; Zwei Romane,

Übersetzung aus dem Französischen und Nachwort von Vincenzo Orlando,

472 S., Manesse Verlag Zürich

 

 

 

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